GEWEIH / NACHTMAHR

Moorleichen - Split (2002)


Vor ein paar Wochen bekam ich aus Heidelberg das Tondokument der neuesten Bemühungen aus dem Hause Geweih. Nach sechs Jahren und zwei Demos die erste "richtige" Veröffentlichung, stellt diese Gemeinschaftsproduktion mit Nachtmahr eindrucksvoll unter Beweis, dass Geweih mehr als reif sind für einen Plattenvertrag. 
Nur ein neues Stück präsentieren die Kampftrinker aus Baden, aber dieses ist erstens mehr als neun Minuten lang und hat es zweitens mächtig in sich. Das letzte Demo hatte ja durchaus seine Momente, aber eine derartige Steigerung hätte ich den Jungs nie und nimmer zugetraut. Hier wird melodischer BM im besten Sinne des Wortes zelebriert, d.h. alle neumodernen Assoziationen zum Thema "Melodic BM" sind völlig fehl am Platze. (Einschub des Autors: Es ist wirklich ein Elend, dass heutzutage einige Worte derart diskreditiert sind, dass sie ohne ausschweifende und stillose Erläuterungen völlig falsche Inhalte wiedergeben könnten.) 
Geweih haben für die Aufnahmen erstmals einen Stöckeschwinger aus Fleisch und Blut zur Verfügung gehabt und das hat dem Gesamtergebnis hörbar gut getan. In Sachen "technische Daten" ist auch noch zu vermelden, dass die Produktion wirklich äusserst gelungen ist. Alle Instrumente sind differenziert wahrzunehmen, kein Detail geht verloren, trotzdem tönt das Resultat nicht gar zu samtig durch den Gehörgang. Und dieses Resultat ist auch kompositorisch über jeden Zweifel erhaben. Mit dominanten Keyboards habe ich ja schon manchmal meine Probleme, aber Geweih haben das Kunststück fertig gebracht, eine Menge Tastenzauber auch für mich bekömmlich zu machen. Das liegt zum einen daran, dass die Gitarren nie untergebuttert werden. Ausserdem sorgt der Schlagzeuger mit seinen Becken für den nötigen Klirrfaktor. Und was am wichtigsten ist: hier werden ein paar wirklich geniale Melodien zum Besten gegeben, mal heroisch, mal melancholisch, gelegentlich entfernt an Summoning erinnernd, stellenweise eine alptraumhafte Atmosphäre erzeugend. Keine Frage, Locke versteht was von seinem Instrument. Doch der Rest der Band muss sich da gar nicht verstecken: die Gitarren liefern wunderbar surrende Riffs, sogar der Bass tritt gelegentlich mit einer hintergründigen Melodie in Erscheinung. Ganz besonders muss man aber den Mann am Mikrofon hervorheben, der mit einer unglaublich kraftvollen Kreischdarbietung mehr als nur überzeugt. "Irrlicht" ist nicht derart lang, weil das gleiche Thema wieder und wieder runtergeleiert wird, nein, wir haben es hier mit einer richtigen kleinen Sinfonie zu tun. Wiederholt wird eigentlich überhaupt nichts, das Stück entwickelt sich fortwährend, die Atmosphäre wechselt von majestätisch zu melancholisch zu aggressiv, und am Ende explodiert alles in einem endlos geilen, schnellen BM-Part, der auch auf der Emperor-MCD nicht negativ aufgefallen wäre. Wahnsinn! Achso, ein Burzumcover haben Geweih auch noch eingespielt. Recht gelungen, wie ich finde. 
Auf Nachtmahr war ich ziemlich gespannt, da mir in der Vergangenheit einige ihrer Stücke sehr gefallen haben. Der erste Song donnert dann auch ganz ordentlich aus den Lautsprechern. Schneller und räudiger als zuvor präsentieren sich Nachtmahr hier, und ich muss sagen, dass mir das sehr gefällt. Dezente Keyboardtupfer und derbes Gekrächze runden einen gelungenen Auftakt ab. Song Nummer zwei hat zwar theoretisch das gleiche Potential, wird aber durch den Schlagzeugsound völlig ruiniert. Die Bassdrum klingt, als ob eine Herde Elefanten durch das Zimmer trampelt. Ich frage mich ernsthaft, warum die Band diesen Unfall auf Platte gepresst hat. Denn im Endeffekt bleibt trotz des guten ersten Songs ein Beigeschmack von Schlamperei beziehungsweise Gleichgültigkeit. Zum Abschluss wird noch eine Coverversion von Geweih serviert. Die ist zwar ganz in Ordnung, kann aber den ernsthaft beschädigten Gesamteindruck auch nicht wieder reparieren.

Geweih 9/10 - Nachtmahr 6/10

Official Website: Geweih
Official Website: Nachtmahr
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Erik
01.11.2002