NYKTALGIA

Peisithanatos (CD/MC 2008/LP 2009)


Wer mit seinem Debütalbum für reichlich Lob sorgt, der tut sich mit dem Nachfolger meist umso schwerer, den hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Mit diesem Problem kämpfen auch Nyktalgia und umgehen es relativ geschickt, indem sie mit ihrem neuen Silberling "Peisithanatos" eine Stilrichtung einschlagen, die sich deutlich von der des Vorgängers unterscheidet. Während nämlich das in Sachen Depressive Black Metal richtungsweisende "Nyktalgia" dem Hörer noch selbst die Schlinge um den Hals legt und erbarmungslos zuzieht, geht "Peisithanatos" auf Distanz und damit gleichzeitig subtiler zu Werke. Der Hass der Auswegslosigkeit ist einer tiefen Resignation und Selbstaufgabe gewichen – aus den minimalistischen Melodien und Riffs sind komplexere und mehrstimmige Gitarrenläufe geworden. Die Kompositionen geben sich schwerfälliger und dadurch mitunter auch deutlich weniger eingängig. Das zweite Stück "Nekrolog" beispielsweise beginnt mit einem Hauptriff, das aufs erste Hören irgendwo zwischen "nervös quietschig" und "absoluter Atmosphärekiller" rangiert. Darüber hinaus wagt sich Sänger Skjeld abseits der altbekannten Kreischgesangspfade an die tieferen Regionen seiner Stimme heran. Erst mit der Zeit und der Bereitschaft, sich auf das Lied einzulassen, entfaltet auch der "Nekrolog" - gerade wegen seiner Experimentierfreude - eine ganz eigene, sinistre Atmosphäre.
Den Höhepunkt des Albums markiert indes das Titelstück "Peisithanatos", das eine durch und durch entrückte und lebensfeindliche Atmosphäre aufbaut, die den Hörer in einem Sog der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung hinabreißt. Das andächtige Einstiegsriff und der simple Blastbeat bilden den Anfang für den Fall durch die finsteren Reiche der Lebensverneinung. Die düsteren, unentrinnbaren Welten, die sich mit dem Mittelteil auftun, entbehren jedoch jeglicher Beschreibung. Was hier an Intensität und Beklommenheit abgebrannt wird, gehört definitiv zum Besten, was man im melancholischen Black Metal bislang zu hören bekommen hat. Die auch sonst verstärkt eingesetzten Akkorde sorgen für eine kapitulierende, ja fast schon mysteriöse Stimmung. Skjeld schreit die Lyrics heraus wie eine geschundene, von Wunden übersäte Seele, die seit Äonen um Erlösung fleht. Das Gitarrensolo vor dem Schlussakt lässt nochmal kurz innehalten, bevor das Outro mit seinem vor Resignation brennenden Riff und seinen hasserfüllten Schreien dem Hörer die endgültige Erkenntnis der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens abringt.
Musikalisch haben sich Nyktalgia deutlich weiterentwickelt, die Kompositionen sind zwar nach wie vor von Monotonie und Melancholie geprägt, aber in sich deutlich komplexer und anspruchsvoller gehalten. Wenn eine Gitarre dissonante Akkorde beisteuert, der zweite Sechssaiter dramatische Melodien über den Klangnebel legt und abschließend auch noch aus den Untiefen der Bass wie eine düstere Todesahnung emporsteigt, dann treten Nyktalgia damit den Beweis an, dass Minimalismus keine Grundvoraussetzung ist, um depressive Stimmungen zu erzeugen.
Während das Vorgängeropus noch für den unausweichlichen Sturz hinab in die Hölle der Seelenqualen stand, ist "Peisithanatos" nun - sowohl lyrisch als auch musikalisch - der nächste logische Schritt: Das Bewusstsein, dass es aus dem Stadium der Lebenskapitulation kein Zurück mehr gibt. Apropos Lyrics: Mit stumpfen "Der Kaffee schmeckt mies, ich schneide mir die Arme auf!"-Texten haben Nyktalgia nichts am Hut, stattdessen entwerfen sie sowohl in den Lyrics, als auch dem beiliegenden Manifest aus der Feder von Schlagzeuger Winterheart, ein Konzept der Resignation und Todessehnsucht, das auf intelligente Art und Weise die fortgeschrittene Demontage der eigenen Persönlichkeit beschreibt. Insgesamt mag "Peisithanatos" zwar nicht ganz den brennenden Schmerz entfachen, der in jedem Lied des Erstlingswerk loderte – weniger intensiv ist die Scheibe deswegen jedoch noch lange nicht. Sie wütet im Kopf des Hörers lediglich auf einer höheren, anspruchsvolleren Ebene.

9 /10

No Colours

 

Nachtwall
27.07.2009


Redaktionsbewertung:
Vandrar 8.5 Nacht 9
Gesamtdurchschnitt: 8.8