HERETOIR

Heretoir (Digi 2011)


Ein Cover, das entfernt an die Tim-Burton-Gruselfetzen für pubertierend-schwarzromantische Gotengören erinnert, ein Logo, bei dem man den Eindruck gewinnt, dass der Zeichner beim Entwurf einen heftigen Niesanfall durchleiden musste, ergänzt durch Liedtitel wie "Weltschmerz" - ist Post Black Metal jetzt endgültig "emo" geworden? Dieser Meinung könnte man glatt auf den Leim gehen, sobald man sich mit Heretoirs gleichnamigem Debütalbum konfrontiert sieht. Und klar, wer in Gedanken "Post" sowieso gleich mit "stockschwul" übersetzt, wird auch mit dieser CD nicht glücklich werden, beziehungsweise sich ebenjenen Stock aus dem Gesäß ziehen lassen. Aber der Schein trügt mal wieder, denn musikalisch kann dieses Ein-Mann-Projekt durchaus was. Sicherlich, sogenannte melancholische oder "depressive" Musik wandelt immer sehr nah am Grat zur Peinlichkeit mit Fremdschämeinschlag. Man denke nur an so manche pseudonachdenklichen Promobilder (natürlich unbedingt in schwarz-weiß und wehe, es guckt jemand in die Kamera!) sowie allzu gerne herangezogene "Alles ist Scheiße"-Texte, die mit ihren lyrischen Platitüden regelmäßig einen Kitschschock auslösen. Zugegeben: Von solchen Elementen sind auch Heretoir alles andere als frei und die gesamte Erscheinung weckt in der Tat Reminiszenzen an gewisse französische Bands.
Aber gut, aus irgendeinem Grund hat es die Platte ja doch gegen Bares in meine erlesene Sammlung geschafft, deswegen wollen wir uns diesem Punkt mal näher zuwenden. Der angesprochene Kitschfaktor, der sich in der Ästhetik gelegentlich breitmacht, hält sich aus dem musikalischen Gebaren erfreulicherweise weitgehends raus. Ganz ohne Synthesizer und Frauengesang geht die Scheibe zwar auch nicht über die Bühne, aber diese sind in jedem Fall sinndienlich eingesetzt und mit einem Auge für das richtige Maß. Ebenso die generelle stimmliche Darbietung, die zwar eine gewisse Verzweiflung zu transportieren vermag, dabei jedoch nicht zu wehleidig wird.
Das sind allerdings allesamt nur Nebenschauplätze, denn die Musik im wahrsten Sinne des Wortes spielt woanders - bei den Gitarren. Nicht nur, dass mit dem relativ warmen Klang ein für die Darbietung sehr adäquater Sound gefunden wurde, sondern auch, dass sich die Melodien und Klangteppiche ein ums andere Mal gegenseitig übertrumpfen und den Stücken so neben musikalischer Güte auch eine dichte Atmosphäre verleihen. Zurück geht dies auch auf den überlegten Aufbau der Lieder, welche mit ihrer relativ klaren Struktur den Hörer an die Hand nehmen und kaum mit unerwarteten überraschungen aufwarten. Dahingehend ist "Heretoir" ein relativ leichter und eingängiger Hörgenuss, der seinem Publikum nur wenig Einarbeitung abverlangt. Das mag manch einer als langweilig abtun - als Abwechslung zu zehnminütigen Komplexitätsmonstern anderer Bands empfinde ich dergleichen komfortablere Platten jedoch als durchaus angenehm.
Die erwähnte Eingängigkeit sei im Übrigen bitte nicht mit musikalischer Anspruchslosigkeit gleichzusetzen - im Gegenteil. Das sehr kraftvolle Schlagzeug liefert zum Beispiel in "Weltschmerz" mit seiner gekonnten Akzentierung via Doublebass hierfür den deutlichen Gegenbeweis. Und neben dem gekonnten Einsatz der Instrumente wissen Heretoir auch mit verschiedenen Stimmungen zu spielen und diese mit einer sorgfältigen Melodieführung zu erzeugen. Paradebeispiel hierfür ist "To Follow The Sun", das mit seinem sich langsam steigernden Aufbau und der verzerrten und doch grazilen Frauenstimme eine verträumte Atmosphäre aufkommen lässt, die durch die zum Dahinschmelzen schönen Gitarrenriffs sogar noch gesteigert wird. Man kann es vermutlich schon herauslesen: Was "Heretoir" so auszeichnet, ist die hervorragende Synthese aus Gitarre, Gesang, Schlagzeug und Ambientklängen, die trotz oder gerade wegen der Unkompliziertheit ihrer einzelnen Komponenten für eine stimmungsvolle Vielschichtigkeit sorgt. Und in diese einzutauchen, dürfte sich für Leute, die auch mal einen Blick über den Tellerrand wagen wollen, mehr als lohnen.

8 /10

Official Website

Northern Silence Productions

 

Nachtwall
05.09.2011